Krabbenfischer fürchten um ihre Existenz

Nachdem viele Fischer an der deutschen Ostseeküste wegen der drastischen Quotenkürzungen ihren Betrieb einstellen, bangen jetzt auch die rund 200 Krabbenfischer an der Nordsee um ihre wirtschaftliche Zukunft. Ein neuer Aktionsplan der EU-Kommission sieht das Verbot der Fischerei mit Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten vor – genau dort, wo die wichtigsten Fanggründe der Krabbenfischer liegen. (21.03.2023)

Am 21. Februar hat die EU-Kommission ihren Aktionsplan "Schutz und Wiederherstellung von Meeresökosystemen für eine nachhaltige und widerstandsfähige Fischerei" vorgelegt. Würde dieser Plan Realität werden, hätte er weitreichende Auswirkungen für die deutsche Fischerei. Vor allem die knapp 200 Krabbenfischer-Betriebe in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sehen in dem Aktionsplan ihre wirtschaftliche Existenz bedroht. Dirk Sander, Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Weser-Ems, drückt es drastisch aus: „Wenn das durchgeht, ist es aus. Von uns wird hier nix übrig bleiben".

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Was steht drin im EU-Aktionsplan?

In ihrem Aktionsplan fordert die EU-Kommission die EU-Mitgliedsstaaten auf, die Fischerei mit Grundschleppnetzen

  • in Natura-2000-Gebieten bis Ende März 2024 und
  • in allen Meeresschutzgebieten der EU bis spätestens 2030

zu verbieten. Dazu sollen die EU-Mitgliedsstaaten ihre nationalen Maßnahmen bereits bis Ende März 2024 verabschiedet haben und der EU-Kommission einen konkreten Fahrplan für die schrittweise Einstellung der Grundschleppnetz-Fischerei bis 2030 in allen EU-Meeresschutzgebieten vorlegen.

Warum gibt es Kritik an Grundschleppnetzen?

Grundschleppnetze sind Fischnetze, die den Meeresgrund berühren. Umweltschützer kritisieren diese Art der Fischerei, da sie in Verdacht steht, den Meeresboden zu schädigen. Die EU-Kommission beruft sich in ihrem Aktionsplan auf ein Gutachten des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES), nach der die Fischerei "die menschliche Tätigkeit auf dem bzw. im Meer ist, die den Meeresboden im größten Umfang schädigt". Der Meeresboden ist laut EU-Kommission wichtig für die biologische Vielfalt sowie als CO2-Speicher zur Eindämmung des Klimawandels. Außerdem falle bei der Fischerei mit Grundschleppnetzen unverhältnismäßig viel Beifang an, so die EU-Kommission (vgl. Seiten 10ff. des EU-Aktionsplans).

KrabbenkutterST24-CBub.jpgDas bundeseigene Thünen-Institut für Ostseefischerei verweist auf der von ihr betriebenen Website fischbestaende-online.de darauf, dass speziell die Krabbenfischerei fast ausschließlich mit leichteren Baumkurren ohne Ketten durchgeführt wird, die relativ wenig Druck auf den Meeresboden ausübt. Außerdem: "Die Garnelen-Fischerei findet in der Regel auf sandigem Grund statt, der meist durch starke (Tiden-)Strömungen gekennzeichnet ist. Zusätzliche Störungen durch Garnelenkurren sind daher meistens gering und nur temporär."

Was sind Natura 2000-Gebiete?

Natura 2000-Gebiete bilden ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten innerhalb der EU. Das Ziel dieser Natura 2000-Gebiete ist der Schutz gefährdeter wildlebender Pflanzen und Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen. Die Rechtsgrundlagen auf europäischer Ebene sind die Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG und Fauna-Flora-Habitat Richtlinie 92/43/EWG. In Deutschland gibt es insgesamt zehn Natura 2000-Schutzgebiete. In der Nordsee sind dies die Gebiete Doggerbank, Sylter Außenriff, Borkum-Riffgrund und Östliche Deutsche Bucht (siehe Karte der Natura 2000-Gebiete in der Nordsee).

Warum sehen die Fischer ihre Existenz durch den EU-Aktionsplan bedroht?

Knapp die Hälfte (45,5%) aller deutschen Meeresgewässer sind Natura 2000-Gebiete; im EU-Durchschnitt sind es dagegen nur 8,9% (wenn man noch die sonstigen Meereschutzgebiete hinzuzählt, sind es 12% in der EU). Würde der EU-Aktionsplan Realität, dürften Krabbenfischer zukünftig nicht mehr in den Meeresschutzgebieten fischen. Mit der Amrum-Bank, die Teil des Natura 2000-Gebietes "Sylter Außenriff" ist, würde eines der Hauptfanggebiete der Krabbenfischer ersatzlos wegfallen. Hinzu kommen die immer größer werdenden Flächen für Offshore-Windparks, die für die Fischerei gesperrt sind. Im Ergebnis würden für die Krabbenfischer kaum noch Fanggebiete übrigbleiben; auf einer Karte des BSH kann man das gut erkennen. Die Folge wäre, dass wahrscheinlich die meisten deutschen Krabbenfischer ihren Betrieb einstellen müssten. Der EU-Aktionsplan selbst enthält keine Abschätzung der Auswirkungen auf die Fischerei.

Gibt es in der Krabbenfischerei Alternativen zu Grundschleppnetzen?

Für die Krabbenfischerei gibt es derzeit keine Alternativen zu Grundschleppnetzen. Dirk Sander, Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Weser-Ems, formuliert es so: „Du kannst keine Krabbe im Wattenmeer und wo auch immer mit Netzen fischen, die nicht am Grund sind. Angeln kann man sie auch nicht“. Eine andere mögliche Alternative, der Einsatz von neuartigen Pulsbaumkurren, bei denen die Krabben statt mit Rollen durch ein schwaches elektrisches Feld in das Netz gescheucht werden, hat die EU zum 1. Juli 2021 verboten.

Wie bewertet die deutsche Wissenschaft die Fischerei mit Grundschleppnetzen?

Krabbenkutter Gorch Fock.jpgFür die deutsche Nord- und Ostsee gibt es noch keine abschließenden Bewertungen zur Grundschleppnetz-Fischerei. Ein dreijähriges Forschungsprojekt der Deutschen Allianz für Meeresforschung, das in zwei sogenannten Pilotmissionen den Einfluss der Grundschleppnetz-Fischerei auf Meeresschutzgebiete in der Nordsee und in der Ostsee untersuchen soll, ist vor kurzem zu Ende gegangen. Noch liegt kein Abschlussbericht vor. Auf der Website des Nordsee-Forschungsprojektes ist unter "Ergebnisse" zu lesen, dass die Spuren der Schleppnetze auf dem Meeresboden bereits nach wenigen Monaten wieder verschwinden: "Die Sedimente scheinen sich, bewegt durch Meeres-Strömungen, relativ schnell wieder einzuebnen".

Das deutsche Thünen-Institut für Ostseefischerei untersucht in einem von 2020 bis 2026 laufenden Großprojekt die Auswirkungen von Grundschleppnetzen in den deutschen Natura 2000-Schutzgebieten in der Ostsee. Auch hier liegen noch keine abschließenden Ergebnisse vor.

Wie sieht die deutsche Politik den EU-Aktionsplan?

Die deutschen Landwirtschaftsminister sehen den EU-Aktionsplan kritisch:

  • Die Agrar- und Fischereiminister der Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Werner Schwarz (CDU) und Dr. Till Backhaus (SPD) haben in einem Schreiben an das Bundeslandwirtschaftsministerium deutliche Kritik an dem EU-Aktionsplan geübt und gefordert, sich für den Fortbestand der Fischerei einzusetzen (Pressemitteilung vom 10.3.).
  • Auch die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) hat in einem Gespräch mit niedersächsischen Krabbenfischern betont, dass ein pauschales Verbot von Grundschleppnetzen in Schutzgebieten nicht die Lösung sein könne (Pressemitteilung vom 16.3.).
  • Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sieht laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein undifferenziertes Pauschalverbot von Grundschleppnetzen nicht als richtigen Weg, denn das hätte gravierende Folgen für die deutsche Krabbenfischerei.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Fischer haben massiven Protest gegen die Pläne der EU-Kommission angekündigt. Der deutsche Vertreter im Fischereiausschuss des EU-Parlaments, Niclas Herbst (CDU), hat einen Initiativbericht zum EU-Aktionsplan angekündigt. Damit wird sich dann auch das bisher nicht beteiligte Europäische Parlament mit dem EU-Aktionsplan befassen. Die EU-Kommission will den EU-Mitgliedsstaaten bereits in diesem Frühjahr "ein Muster und Leitlinien für die Ausarbeitung der Fahrpläne zur Verfügung stellen". Im Herbst dieses Jahres soll es die erste Sitzung der neuen Sondergruppe mit Vertretern aller EU-Mitgliedstaaten geben, um "Verfahren zur Nachverfolgung einzuleiten." Bis Ende März 2024 sollen die EU-Mitgliedsstaaten der EU-Kommission ihre Fahrpläne vorlegen und darlegen, wie sie die Ziele des Aktionsplans erreichen wollen.

Hintergrundinfos:

  • Die Krabbenfischerei verwendet Grundschleppnetze, die mit einer acht bis zehn Meter langen stählernen Querstange, dem Kurrbaum, offengehalten werden. An beiden Enden des Kurrbaums befinden sich kufenartige Schuhe, mit denen das Netz über den Meeresboden gleitet. Zwischen diesen sogenannten Kurrschuhen sind mit Kettengliedern verbundene Hartgummirollen angeschlagen, deren Druckwellen die am Boden lebenden Krabben aufscheuchen und sie in das Fangnetz treiben.
  • Die Küstengewässer erstrecken sich in einem Abstand bis 12 Seemeilen (ca. 22 km) von der Küstenlinie, die sich daran anschließende Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) in einem Bereich von 12 Seemeilen bis 200 Seemeilen vor der Küste.
  • Der aktuelle Aktionsplan der EU-Kommission zur Fischerei ist nicht Teil eines formalen EU-Gesetzgebungsverfahrens; deshalb sind das EU-Parlament und der Europäische Rat bisher noch nicht in den Plan eingebunden worden. Der 29-seitige Aktionsplan besteht aus einer "Mitteilung" der EU-Kommission, mit der die EU-Mitgliedsstaaten zu konkreten Maßnahmen – unter anderem zum Verbot der Grundschleppnetz-Fischerei in Meeresschutzgebieten – aufgefordert werden.