Fischkutter der Zukunft
Wer derzeit die Schlagzeilen über die Küstenfischerei liest, dem könnten Zweifel an der Zukunft dieses Wirtschaftszweiges kommen. Aber die Verantwortlichen für das Projekt "Energieeffiziente zukunftsweisende Küstenfischerei" glauben an die Zukunft der familiengeführten Küstenfischerei und lassen sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen, einen modernen, sicheren, umweltfreundlichen und bezahlbaren Fischkutter zu entwerfen.
Der Großteil der deutschen Fischereiflotte ist veraltet; das Durchschnittsalter liegt mittlerweile bei 40 Jahren. In solch alte Kutter lassen sich aber technisch und wirtschaftlich keine klimaneutralen Schiffsantriebe einbauen – und genau an dieser mittel- bis langfristigen Zielvorgabe wird auch die Fischerei nicht vorbeikommen können. Auch deshalb hat Hilke Looden, Bürgermeisterin der ostfriesischen Gemeinde Krummhörn (zu der auch Greetsiel gehört), frühere Fischereiberaterin bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und Ehefrau eines Krabbenfischers, die Initiative für die Entwicklung eines modernen Fischkutters ergriffen.
Der Leiter des Projektteams ist Prof. Dr.-Ing. Jann Strybny, der an der Hochschule Emden/Leer im Bereich Maritime Umwelttechnik in der Seefahrt lehrt und forscht. Zusammen mit seinem Kollegen Prof. Kapt. Michael Vahs hat er die wissenschaftliche Leitung der Fraunhofer-Arbeitsgruppe Nachhaltige Maritime Mobilität übernommen, die zu gleichen Teilen von der Hochschule Emden/Leer und vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES in Bremerhaven getragen wird.
Die Fischkutter-Studie wird im Zuge eines vom Landwirtschaftsministerium Niedersachsen bewilligten Projektes durchgeführt, das durch den Europäischen Meeres- und Fischereifonds EMFF der EU und das Land Niedersachsen gefördert.
Projektmitarbeiter Tammo Lenger hat 220 Fischereibetriebe angeschrieben und gezielt ermittelt, welche Vorstellungen die späteren Nutzer von einem modernen Fischereifahrzeug haben. 34 Krabbenfischer vor allem aus dem ostfriesischen Bereich haben sich an der Umfrage beteiligt, dessen Ergebnisse in den schiffbaulichen Entwurf (verantwortet vom Bremerhavener Konstruktionsbüro Judel/Vrolijk) eingeflossen sind. Ausgangspunkt für das Konzept-Design des "Kutters der Zukunft" ist die Rumpfform des klassischen Lübbe-Voss-Kutters.
Und so soll der "Kutter der Zukunft" aussehen:
- Die Maße des Kutters sind: 19,5m lang, 5,90m breit und 2m Tiefgang. Der Kutter ist bewusst groß konzipiert worden, um die Null-Emissions-Antriebstechnik und die nötigen Tankkapazitäten für künstliche Kraftstoffe unterbringen zu können.
- Das Ruderhaus ist vorne. Die Projektverantwortlichen versprechen sich dadurch mehrere Vorteile: Im Nachtbetrieb werden Blendungen des Schiffsführers durch die Beleuchtung des Arbeitsdecks vermieden. Der Wetterschutz ist auf dem Achterdeck besser. Das Steuerhaus und die technischen Komponenten sind räumlich eng beieinander positioniert. Die Unterkünfte an Bord und der Fischereibetrieb sind voneinander getrennt.
- Die Unterkünfte sind im Vordeck angeordnet.
- Der Laderaum soll etwa 330 Standard-Fischkisten umfassen.
- Das Schiff soll umweltfreundlich mit Methanol angetrieben werden (daher auch der lange Entlüftungs-Mast). Ein Elektromotor mit zwei großen und einem kleinen Stromgenerator (zu- und wegschaltbar) soll in einem gesonderten Raum untergebracht werden. Nach Angaben der Projektverantwortlichen ist Wasserstoff an Bord von Fischereifahrzeugen wegen der zu großen Drucktanks schon aus Platzgründen nicht realisierbar.
- Die Konzept-Design des Fischkutters ist bewusst multifunktional gehalten, damit das Schiff später vielfältig einsetzbar ist und damit eine bessere Finanzierung möglich wird.
Nach Schätzung von Prof. Dr. Strybny ist bei einem Kutter dieser Größenordnung derzeit mit Kosten von rund 2 Mio. EUR als Einzelprojekt zu rechnen. Es ist das Ziel, durch eine angedachte Serienfertigung (mindestens fünf Kutter) und den Verzicht auf individuelle Zusatzwünsche von Fischern die Baukosten so gering wie möglich zu halten. Klar sei aber auch, so Prof. Dr. Strybny, dass ohne öffentliche Förderung der Prototyp und die späteren Kutter für die Fischer nicht finanzierbar seien.
Derzeit führt Philip Deckena von der Fraunhofer-Arbeitsgruppe Nachhaltige Maritime Mobilität mit einem Modell des Kutters Schlepptankversuche in dem im September 2021 neu eröffneten Maritimen Technikum in Leer durch. Im Sommer will die Hochschule Emden/Leer ein Abschlusskolloquium zu dem Projekt veranstalten. Torsten Conradi, Geschäftsführer von Judel/Vrolijk, und sein Mitarbeiter Matthias Bröker halten den Neubau des "Kutters der Zukunft" in zwei bis drei Jahren für möglich – wenn das Projekt auch von der Politik mit unterstützt wird.