Meister des Schwergewichts
Bis vor Kurzem standen die Nadelbäume in einem Waldstück in Österreich. Danach wurden sie in Tausende von Brettern verwandelt und zu „handlichen“ Paketen zusammengeschnürt. Jetzt liegen sie nach einer langen Bahnfahrt formschlüssig übereinander gepackt auf dem Asphalt am Terminal Cuxhaven. Etwa 10.000 Kubikmeter umfasst der Stapel, rund 8.500 Tonnen Gewicht bringt er auf die Waage. Während des Besuchs der BG Verkehr wird das Holz in einen Frachter aus Szczecin (Stettin) verladen und in zwei bis drei Tagen geht die Reise weiter nach Casablanca, wo die Händler bereits auf den begehrten Baustoff warten. Schifffahrt verbindet.
Ohne Sicherheitsgespräch geht gar nichts
Damit der Zeitplan funktioniert, sind die Mitarbeiter von Blue Water BREB in zwei Schichten von sechs Uhr morgens bis 22:30 Uhr nachts im Einsatz. Zwei Schwerlaststapler nehmen die Holzpakete vom Stapel und bringen sie an die Pier. Die Motorengeräusche der vielen Maschinen und Fahrzeuge vor Ort übertönen das schrille Geschrei der Möwen und das Blöken der Schafe, die hinter dem Zaun auf dem Deichvorland grasen. Während die Stapler unermüdlich für Nachschub sorgen, befestigen drei Kollegen die Anschlagseile des Hafenkrans an den Holzpaketen und kurze Zeit später schwebt eine neue Fuhre in Richtung Laderaum. Dort stehen drei Männer auf dem immer höher werdenden Holzturm und nehmen die neuen „Bausteine“ in Empfang.
Von Deck aus betrachtet, sehen die Menschen sehr klein aus in dem neun Meter tiefen Laderaum des Schiffs. „Was passiert, wenn eine Kette reißt?", denkt man unwillkürlich. Schichtleiter Franke klopft auf Holz und sagt: „Bisher hatten wir noch keinen schweren Unfall. Wir machen vor jeder Ladearbeit mit allen Beteiligten ein Sicherheitsgespräch: Wer macht was, worauf muss jeder achten, wo sind die Anschlagpunkte, wie viele Leute brauchen wir wann und wo. Erst wenn alles durchgeplant ist und jeder seine Aufgaben genau kennt, geht es los.“ Tool-Box-Talk nennen sie das.
Windkraft bringt neue Aufträge
Cuxhaven liegt da, wo die Elbe in die Nordsee mündet. Wenig überraschend, dass der Hafen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Im 20. Jahrhundert spielte vor allem die Fischerei die Hauptrolle, seit knapp sechzig Jahren hat die Erzeugergemeinschaft Kutterfisch hier ihren Sitz. Vor rund zehn Jahren kam allmählich ein zweites Produkt ins Spiel, das besonders gut zur Küste passt: die Windenergie. Bereits 2010 wurde in der Deutschen Bucht der erste Offshore-Windpark Deutschlands (alpha ventus) aufgebaut. Gefertigt werden die Bestandteile der Anlagen vor allem in Deutschland, Dänemark, China und den USA.
Kapitän Arne Ehlers erkannte früh die Chancen für seine Heimatstadt Cuxhaven. Der geschäftsführende Gesellschafter der Bremer Reederei BREB (die aus der Bremer Reederei E & B entstand) gründete 2016 eine Partnerschaft mit dem dänischen Unternehmen Blue Water Shipping, das sich auf Windradlogistik spezialisiert hat. Am Deutschen Offshore-Industrie-Zentrum Cuxhaven betreibt Ehlers seitdem seinen eigenen Terminal.
Als die junge Firma den ersten Auftrag übernahm, hatte sie vier Festangestellte. Heute arbeiten bis zu 50 Menschen dafür, dass sehr große, schwere oder sperrige Ladung gut gesichert ihr Ziel erreicht. Die Windkraftindustrie wächst seit Jahren. Außerdem werden die Anlagen in Zukunft noch größer. Schon heute misst ein Rotorblatt eines Windrads 90 Meter, die Rotoren im Gehäuse bringen fast 40 Tonnen auf die Waage. Wer da im Transportgeschäft mithalten will, braucht besondere Kenntnisse und spezielle Maschinen. 4,3 Millionen Euro hat Blue Water BREB in den neuen Hafenmobilkran LHM 600 investiert.
Neben dem Transport von Holz und Windkraftanlagen übernimmt der Terminalbetrieb auch Projektaufträge. Das sind Einzelaufträge für besondere Ladung: Eisenbahnwaggons zum Beispiel, Teile von Industrieanlagen oder große Maschinen wie den Hafenkran (auch der erreichte auf dem Wasserweg seinen neuen Standort in Cuxhaven).
„Wir spielen eben lieber mit den schweren Dingen"
Wibke Ehlers, Ehefrau des Geschäftsführers, hat unter anderem die Aufgabe, das Fachpersonal zu rekrutieren. „Aber es ist schwer, qualifiziertes Personal zu finden“, sagt sie. So jemanden wie den Vorarbeiter Viktor Felker zum Beispiel. Nach dem Abitur lernte er Fachkraft für Lagerlogistik, sammelte an verschiedenen Stationen Erfahrung und qualifizierte sich weiter. Heute ist er mit Anfang dreißig einer der beiden Hauptkranführer, die mit dem neuen Kran arbeiten dürfen. Vor dem ersten Einsatz gab es eine mehrtägige Einweisung vom Hersteller Liebherr. Fast sechzig Meter Ausladung sind möglich, 600 Tonnen Gesamtgewicht wiegt der Kran, 208 Tonnen kann er maximal aufnehmen.
Der Altersdurchschnitt in der Firma liegt bei Mitte dreißig, die Stimmung ist gut. Offensichtlich sind die Männer im Hafen (Frauen arbeiten zurzeit nur in der Verwaltung) sehr zufrieden damit, mit Spezialmaschinen unglaublich sperrige Dinge zu bewegen, statt einfach Container zu stapeln. Schichtleiter Franke bekräftigt: „Das ist gesunder Stress, wenn Sie gewaltige Lasten schweben lassen.“ Sein Vorarbeiter ergänzt: „Es macht allen Spaß, ein Schiff schnell vollzukriegen.“
Spaß? Bei Dauerregen im Herbst oder Kälte und Dunkelheit im Winter auf die gestapelten Rotorblätter klettern, um Anschlagmittel zu befestigen? Felker und Franke (ehemals Kapitän auf großer Fahrt) begegnen Regen, Kälte und Wind mit einer gewissen Gelassenheit und passender Kleidung. „Am wichtigsten sind für mich bei dieser Arbeit der Zusammenhalt und das Vertrauen zueinander“, sagt Franke. „Jeder im Team kann unterbrechen, wenn ihm eine Situation zu gefährlich wird, also falls zum Beispiel der Wind zunimmt und wir in einen kritischen Bereich kommen.“ Allerdings hat bisher noch niemand von diesem Recht Gebrauch gemacht.
Die Kunden wollen Verlässlichkeit
Wer in der Hafenlogistik Erfolg haben will, muss seine Leistung vorher unter Beweis stellen. Die Kunden sind anspruchsvoll, denn die Ladung ist Millionen wert. Gerät der Zeitplan durcheinander, kommen teure Liegetage der Schiffe hinzu. Qualitätsnachweise sind die Sache von Wibke Ehlers. Sie ist unter anderem QHSE-Beauftragte, was für Quality, Health, Safety und Environment (Qualität, Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz) steht. In dieser Funktion sucht sie ständig nach Verbesserungspotenzial. Denn genau wie ihre Kollegen ist sie überzeugt, dass die Sicherheit gelebt werden muss und dass jeder Einzelne im Team mit seiner Einstellung und Aufmerksamkeit dazu beiträgt, dass nichts Schlimmes passiert. „Wir wollen Leute, die mitdenken und aufeinander achten“, betont sie.
Franke beschreibt, wie er das Sicherheitsbewusstsein im Team fördert: „Ich halte nach einer kritischen Situation keine Vorträge, sondern ich frage nach: Was hätten wir anders machen müssen? Diese Frage bringt die Kollegen dazu, selbst nach Lösungen zu suchen. Und ich hoffe, dass sie dann in unvorhergesehenen Situationen richtig reagieren. Praktische Schulungen sind dafür immens wichtig“, schließt er.
Am Besuchstag der BG Verkehr wurde zum Beispiel ein Gast von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger erwartet. „Wir planen ein praktisches Seminar zur Rettung aus dem Wasser“, erklärt Ehlers. Obwohl alle eine Rettungsweste tragen, wenn sie im Schiff oder dicht davor arbeiten, wäre ein Sturz ins Hafenbecken immens gefährlich. Die Elbe fließt hier mit rund sechs Knoten (zehn Stundenkilometer) vorbei, das Wasser ist kalt und der Stressfaktor bei so einem Unfall für alle Beteiligten hoch. „Und außerdem kann ja nicht jeder schwimmen“, ergänzt sie, „das wird weder für Hafenarbeiter noch Seeleute gefordert.“
Begegnung an Bord
Zurück zum Holzfrachter aus Stettin: Ein paar Stunden später ist der Holzstapel im Laderaum ein gutes Stück gewachsen. Die Ladungswache behält alles im Blick, ebenso der Kapitän und sein Erster Ingenieur, die uns auf der Brücke freundlich begrüßen. Es dauert nicht lange, bis man auf ihre Herkunft zu sprechen kommt: Der Kapitän ist Russe, der Ingenieur ein Ukrainer, beide haben Familienmitglieder, die aus dem jeweils anderen Land stammen. Auch nach Wochen des Krieges können sie nicht fassen, was sich gerade in ihren Heimatländern abspielt. Blass und angespannt sprechen sie darüber, lächeln sich zwischendurch tröstend an und verkörpern in diesen wenigen Minuten, dass Frieden möglich ist, wenn die Menschen ihn wollen. Der Abschied ist herzlich. Schifffahrt verbindet.
Autorin: Dorothee Pehlke
Fotos: Christoph Papsch
SicherheitsProfi 03/2022