Fangquoten für 2022 sorgen für Entsetzen bei Ostseefischern
Einig sind sich Fischer, Umweltschützer, Wissenschaftler und die EU-Minister und -Ministerinnen eigentlich bloß in einem: Den Fischen in der Ostsee, allen voran dem Dorsch und dem Hering, ging es schon mal deutlich besser. Aber weshalb genau die Arten so unter Druck stehen, ob es Überfischung ist oder doch eher die sich verändernde Umwelt, da scheiden sich die Geister. Uneinigkeit herrscht auch darüber, wie massiv die Bestände bedroht sind. Die Meinungen reichen von der Ansicht, die Fische seien durch Pipelines und andere Bauten aus der westlichen Ostsee vertrieben worden bis zu der Befürchtung, die Arten würden kurz vorm Aussterben stehen.
Während über die Bedrohung der Fischbestände noch gestritten wird, gibt es keine zwei Meinungen darüber, dass die Existenzen von Ostseefischern auf dem Spiel stehen. Die am 12. Oktober durch die EU-Minister beschlossene erneute Reduzierung der Fangquoten für Dorsch und Hering ist auch deshalb so dramatisch, weil dies die wichtigsten Fische der Küstenfischer sind – und die Quote für Hering schon zwischen 2017 und 2021 um 94 % gekürzt worden war. Die erneute Kürzung wird Auswirkungen auf die Fischer, ihre Familien und ihre Angestellten haben. „Nach der starken Absenkung ist klar: Damit hat praktisch kaum ein Haupterwerbsfischer noch eine Überlebenschance‟, zitiert das aktuelle Fischerblatt etwa den Präsidenten des Deutschen Fischereiverbandes, Gero Hocker. Doch auch die Seite der Umweltschützer kommt in dem Heft zu Wort, etwa der Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace: „Die Ostsee ist in einem desaströsen Zustand und die Fangquoten für 2022 reichen nicht aus, um das zu verbessern‟. Er erkennt jedoch an: „Besonders bitter ist die Entwicklung für die kleine, handwerkliche Küstenfischerei. Sie hat wenig zu der Entwicklung beigetragen, kriegt aber nun die volle Härte ab.‟
Die drastischen Kürzungen der Fangquoten zeigen bereits erste Konsequenzen: Ende Oktober hat sich der Landesverband der Kutter- und Küstenfischer in Mecklenburg-Vorpommern aufgelöst. Der Grund: Der Landesverband hat nicht mehr genügend Mitglieder, da immer mehr Fischereibetriebe aufgeben müssen. Zu Hochzeiten hatte der Verband knapp 300 Mitglieder, zuletzt waren es noch 100 – mit deutlich sinkender Tendenz.
Dies sind die Fischereiquoten im Einzelnen: Beim Hering in der westlichen Ostsee reduziert sich die für Deutschland erlaubte Fangmenge von 869 Tonnen in diesem Jahr auf 435 Tonnen im nächsten Jahr (zum Vergleich 2017: 15.670 Tonnen). Gezielte Heringsfischerei mit Schleppnetz ist dann verboten, Hering darf künftig nur noch mit passiven Fanggeräten und Fischereifahrzeugen von unter zwölf Metern Länge gezielt befischt werden. Beim Dorsch reduziert sich die erlaubte Menge von 4.000 Tonnen in diesem Jahr auf 104 Tonnen im Jahr 2022 – und das ausschließlich als Beifang.
Zusätzlich ärgert die Fischer - ebenso wie Bundesministerin Julia Klöckner, die mit am EU-Verhandlungstisch saß -, dass der Quotenkahlschlag vor allem die deutsche Fischwirtschaft trifft. Die Küstenfischer in Dänemark und Schweden müssen weniger Einbußen hinnehmen - und das, obwohl sich das Verbreitungsgebiet des Herings auch übers Kattegat und Skagerrak erstreckt. „Es darf nicht sein, dass der Fischerei dort mehr Fangmöglichkeiten eingeräumt werden als im Laichgebiet vor der vorpommerschen Küste‟, kritisiert Dr. Till Backhaus, der für die Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern zuständige Minister für Agrar- und Umweltschutz. „Perspektivisch muss der Bestand als Ganzes betrachtet werden und so bewirtschaftet werden, dass jedenfalls keine Fischereiregion mehr massiv benachteiligt wird.‟ Deutschland hat den Quotenbeschlüssen deshalb nicht zugestimmt.
Allerdings hält die EU-Vereinbarung auch ein Trostpflaster für die deutschen Ostseefischer bereit: Zwei Arten dürfen im nächsten Jahr stärker befischt werden, nämlich die Scholle mit einer erlaubten Fangmenge von zusätzlich 25% und die Sprotte mit einer erlaubten Fangmenge von zusätzlich 13 %. Um den Beifang an Dorsch und Hering zu reduzieren, sollen dafür künftig selektive Schleppnetze eingesetzt werden. Die Fischer müssen also in neue Netze investieren, ehe sie von diesen Beschlüssen profitieren.
Ausbleibende Einnahmen, zusätzliche Kosten: Der Verband der deutschen Kutter- und Küstenfischerei befürchtet, dass die Ostseefischerei vor einem Strukturwandel steht. „Mit den heute verabschiedeten Quoten wird es nicht möglich sein, alle Ostseebetriebe über das nächste Jahr zu bringen‟, heißt es in der Pressemitteilung des Verbands zu den EU-Beschlüssen. Und weiter: „In dieser Situation begrüßt die deutsche Ostseefischerei das Angebot der Bundesregierung, zu einem runden Tisch einzuladen und nach Lösungen für diese schwierige Situation zu suchen, um den verbleibenden Ostseefischern perspektivisch ihre Existenzgrundlage zu sichern‟.
Beim runden Tisch soll es um Fördergelder für nötige Investitionen gehen, um Prämien für die zeitweilige Stilllegung von Fischereifahrzeugen und auch um Abwrackanreize, die ausstiegswilligen Fischern ein sozialverträgliches Ausscheiden ermöglichen. Staatliche Unterstützung fürs Nicht-Arbeiten: Für jemanden, der seinen Beruf liebt, ist das nur ein letzter Rettungsanker. Viele Ostseefischer werden ihn im nächsten Jahr ergreifen müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen.